Alt - Borkum Der Strand um 1901 Der Strand um 1883 T O P T O P
Ebene 4
Der kleine Junge und der Alte Turm. Die wunderbare Welt der kleinen Kinder.
Kinderoogen Kinderoogen
Kinderoogen
Kinderaugen
He was so'n lüttjet fien Keerlke van veier off fiev Jahr. Sien Oogen tinkelten van Bliedskup um all dat Nees, wat in de Welt gaff tau bekieken. He was völ up Padd un so kwamm he unverwachs an ein allemachdeg dicke hooge Müre, dej heil in't Runde gung. He gung dör ein lüttje Poorte un stunn miteins up ein groote Plaatz mit völ Greunte un Blaumkes. Hollten Banken tau utrüsten wassen d'r uk. Verskeiden Krüzen stunnen d'r un lüttje Tavels vertellden dat Leven van dej Lü, dej hier wall hör letzde Rüst funnen harrn.
Er war so ein kleiner zarter Junge (hier: Kerlchen; Kosewort) von vier oder fünf Jahren. Seine Augen funkelten vor Freude um all das Neue, was es in der Welt zu besehen gab. Er war viel unterwegs (hier: up Padd - auf dem Fußweg) und so kam er unerwartet an eine gewaltige dicke hohe Mauer, die ganz rund war (hier: in die Runde ging). Er ging durch eine kleine Pforte und stand unerwartet auf einem großen Platz mit viel Grünzeug und Blümchen. Holzbänke zum Ausruhen waren auch da. Verschiedene Kreuze standen dort und kleine Tafeln erzählten das Leben von den Leuten, die hier bestimmt (sicher) ihre letzte Ruhe gefunden hatten.
Man in de Hauk stunn ein Toorn, so eine harr de lüttje Keerlke noch noit seihn. Groot, so groot, haast bit in de Hemel. Veierkanteg, stumm un stiev, so stunn he daar. De lüttje Fent muss de Kopp in de Necke smieten, um dat Toornende offtaukieken. He leip ein paar Stappkes rüggels un daar was't uk all gebört. Miteins lagg he up de Rügge in't Gras un wuss neit, off he lachen off blarren sull.
Aber in der Ecke stand ein Turm, so einen hatte der kleine Kerl noch nie gesehen. Groß, so groß, fast bis in den Himmel. Viereckig, stumm und steif, so stand er dort. Der kleine Kerl musste den Kopf in den Nacken werfen, um das Turmende abzusehen. Er lief ein paar Schritte rückwärts und da war es schon passiert. Plötzlich lag er auf dem Rücken im Gras und wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte.
He was noch an't siemeleiern, as ein deipe Stemme see: Mien Jung! Hest di besehrt, mien Kind?
Er war noch am Überlegen, als eine tiefe Stimme sagte: Mein Junge! Hast dich verletzt, mein Kind?
De lüttje Keerlke keek sück um – un nu gebörde dat, wat bloot Kinderoogen seihn. De olde stieve klunterge Toorn was miteins ein staffolde Mann, groot un steweg, mit ein lange witte Bart un griese Haaren un groote Handen un völ Folden in't Gesicht.
Der kleine Kerl guckte sich um - und nun passierte das, was nur Kinderaugen sehen. Der alte steife klobige Turm war plötzlich ein uralter Mann, groß und stämmig, mit einem langen weißen Bart und grauen Haaren und großen Händen und (mit) vielen Falten im Gesicht.
De Junge keek hum staff an, man benaud was he neit. Laat mi man even pusten, see de olde Mann. De lüttje Fent leip up hum daal, waarde van de groote Handen uptillt un leivhardeg an de Borst drückt. De Schrick was gau vergeten, as de olde Baas anfung tau vertellen, van langst vergangen Tieden, as d'r minn Huusen up't Eiland wassen, de utseihn hebben, as off seej sück vör de Wind duken mussen. He vertellde van de lüttje Karke, dej in Skuul van hum stahn hett, van bliede lachende Mensken, dej d'r all neit mehr bin. Un van Weer un Wind, van Seilskepen, dej an't Eiland vörbi susten. Un van all dej Mensken, dej he he hulpen harr mit sien Füür boven in de Toorn. Mensken, dej up't Water herum dwalten un verloren wassen, wenn d'r gein Toorn west was, dej mit sien Lücht de recht Pad wiesen de.
Der Junge guckte ihn hoch erstaunt an, aber ängstlich war er nicht. Lass mich eben pusten, sagte der alte Mann. Der kleine Bursche lief auf ihn zu, wurde von den großen Händen aufgehoben und liebevoll (hier: liebherzig) an die Brust gedrückt. Der Schreck war schnell vergessen, als der alte Meister (hier: wörtlich Chef, Oberhaupt) anfing zu erzählen, von längst vergangenen Zeiten, als nur wenige Häuser auf dem Eiland waren, die ausgesehen haben, als ob sie sich vor dem Wind ducken mussten. Er erzählte von der kleinen Kirche, die im Schutz von ihm gestanden hatte, von frohen lachenden Menschen, die schon lange nicht mehr sind. Und von Wetter und Wind, von Segelschiffen, die an dem Eiland vorbei sausten. Und von allen Menschen, denen er geholfen hatte mit seinem Feuer oben in dem Turm, Menschen, die auf dem Wasser herumirrten und verloren waren, wenn da kein Turm gewesen wäre, der mit seinem Licht den rechten Pfad gewiesen hätte.
He kunn moij vertellen, de olde Baas, so vullmundeg, dat de Jung up sien Arm mit open Mund an't lüstern was. Man miteins fullen hum de Oogen dicht un de Olle was uk still. He sagg van wieden ein upgereegt Mauder dör't Dörp fleigen un in alle Hauken un Hörns kieken un de Name van de Junge raupen. Seej funn hör Söhn in't Gras tau Fauten van ein klunterge veierkantege Toorn, dej stumm un stiev in de Hauk stunn.
Er konnte schön erzählen, der Alte (Meister), so vollmundig, dass der Junge auf seinem Arm mit offenem Mund zuhörte (hier: am Zuhören war). Aber plötzlich fielen ihm die Augen zu und der Alte war auch still. Er sah von Weitem eine aufgeregte Mutter durch das Dorf fliegen und in alle Ecken (und Kanten) gucken und den Namen von dem Jungen rufen. Sie fand ihren Sohn im Gras zu Füssen von einem klobigen viereckigen Turm, der stumm und steif in der Ecke stand.
Seej namm de Jung up de Arm. Mit Oogen up de Glieve tillde he sien lüttje Kinderhand umhoog un brummelde heil verslapen: Gaude Nacht uk, Toornohmke, slaap gerüst. Un bloot för dej Mensken, dej dat noch hören können klung ein Stemme over't Eiland, dej reip: Mien Jung! Mien leiwe Jung!
Sie nahm den Jungen auf den Arm. Mit fast ge- schlossenen Augen (Glieve = Spalt) hob er seine kleine Kinderhand hoch und brummelte ganz verschlafen: Gute Nacht, Onkel Turm (wörtlich Turmonkel), schlafe gut (gerüst = beruhigt). Und nur für die Menschen, die das noch hören können klang eine Stimme über das Eiland, die rief: Mein Junge! Mein lieber Junge!
Jan Schneeberg
Hinweis: Da auch die plattdeutsche Sprache - wie grundsätzlich jede Sprache - oft erst sinnentnehmend erschließbar wird, wurden zum besseren Verständ- nis der Sprachbildung an speziellen Stellen eine fast wörtliche Übersetzung von Teilsätzen und Begriffen innerhalb runder Klammern ( .. ) aufgezeigt.
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