Kinderoogen
Kinderaugen
He was so'n lüttjet fien Keerlke van veier off fiev
Jahr. Sien Oogen tinkelten van Bliedskup um all dat
Nees, wat in de Welt gaff tau bekieken. He was völ
up Padd un so kwamm he unverwachs an ein
allemachdeg dicke hooge Müre, dej heil in't Runde
gung. He gung dör ein lüttje Poorte un stunn
miteins up ein groote Plaatz mit völ Greunte un
Blaumkes. Hollten Banken tau utrüsten wassen d'r
uk. Verskeiden Krüzen stunnen d'r un lüttje Tavels
vertellden dat Leven van dej Lü, dej hier wall hör
letzde Rüst funnen harrn.
Er war so ein kleiner zarter Junge (hier: Kerlchen;
Kosewort) von vier oder fünf Jahren. Seine Augen
funkelten vor Freude um all das Neue, was es in der
Welt zu besehen gab. Er war viel unterwegs (hier: up
Padd - auf dem Fußweg) und so kam er unerwartet an
eine gewaltige dicke hohe Mauer, die ganz rund war
(hier: in die Runde ging). Er ging durch eine kleine Pforte
und stand unerwartet auf einem großen Platz mit
viel Grünzeug und Blümchen. Holzbänke zum
Ausruhen waren auch da. Verschiedene Kreuze
standen dort und kleine Tafeln erzählten das Leben
von den Leuten, die hier bestimmt (sicher) ihre letzte
Ruhe gefunden hatten.
Man in de Hauk stunn ein Toorn, so eine harr de
lüttje Keerlke noch noit seihn. Groot, so groot, haast
bit in de Hemel. Veierkanteg, stumm un stiev, so
stunn he daar. De lüttje Fent muss de Kopp in de
Necke smieten, um dat Toornende offtaukieken. He
leip ein paar Stappkes rüggels un daar was't uk all
gebört. Miteins lagg he up de Rügge in't Gras un
wuss neit, off he lachen off blarren sull.
Aber in der Ecke stand ein Turm, so einen hatte der
kleine Kerl noch nie gesehen. Groß, so groß, fast bis
in den Himmel. Viereckig, stumm und steif, so stand
er dort. Der kleine Kerl musste den Kopf in den
Nacken werfen, um das Turmende abzusehen. Er
lief ein paar Schritte rückwärts und da war es schon
passiert. Plötzlich lag er auf dem Rücken im Gras
und wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte.
He was noch an't siemeleiern, as ein deipe Stemme
see: Mien Jung! Hest di besehrt, mien Kind?
Er war noch am Überlegen, als eine tiefe Stimme
sagte: Mein Junge! Hast dich verletzt, mein Kind?
De lüttje Keerlke keek sück um – un nu gebörde dat,
wat bloot Kinderoogen seihn. De olde stieve
klunterge Toorn was miteins ein staffolde Mann,
groot un steweg, mit ein lange witte Bart un griese
Haaren un groote Handen un völ Folden in't Gesicht.
Der kleine Kerl guckte sich um - und nun passierte
das, was nur Kinderaugen sehen. Der alte steife
klobige Turm war plötzlich ein uralter Mann, groß
und stämmig, mit einem langen weißen Bart und
grauen Haaren und großen Händen und (mit) vielen
Falten im Gesicht.
De Junge keek hum staff an, man benaud was he
neit. Laat mi man even pusten, see de olde Mann.
De lüttje Fent leip up hum daal, waarde van de
groote Handen uptillt un leivhardeg an de Borst
drückt. De Schrick was gau vergeten, as de olde
Baas anfung tau vertellen, van langst vergangen
Tieden, as d'r minn Huusen up't Eiland wassen, de
utseihn hebben, as off seej sück vör de Wind duken
mussen. He vertellde van de lüttje Karke, dej in
Skuul van hum stahn hett, van bliede lachende
Mensken, dej d'r all neit mehr bin. Un van Weer un
Wind, van Seilskepen, dej an't Eiland vörbi susten.
Un van all dej Mensken, dej he he hulpen harr mit
sien Füür boven in de Toorn. Mensken, dej up't
Water herum dwalten un verloren wassen, wenn d'r
gein Toorn west was, dej mit sien Lücht de recht Pad
wiesen de.
Der Junge guckte ihn hoch erstaunt an, aber
ängstlich war er nicht. Lass mich eben pusten,
sagte der alte Mann. Der kleine Bursche lief auf ihn
zu, wurde von den großen Händen aufgehoben und
liebevoll (hier: liebherzig) an die Brust gedrückt. Der
Schreck war schnell vergessen, als der alte Meister
(hier: wörtlich Chef, Oberhaupt) anfing zu erzählen, von
längst vergangenen Zeiten, als nur wenige Häuser
auf dem Eiland waren, die ausgesehen haben, als ob
sie sich vor dem Wind ducken mussten. Er erzählte
von der kleinen Kirche, die im Schutz von ihm
gestanden hatte, von frohen lachenden Menschen,
die schon lange nicht mehr sind. Und von Wetter
und Wind, von Segelschiffen, die an dem Eiland
vorbei sausten. Und von allen Menschen, denen er
geholfen hatte mit seinem Feuer oben in dem Turm,
Menschen, die auf dem Wasser herumirrten und
verloren waren, wenn da kein Turm gewesen wäre,
der mit seinem Licht den rechten Pfad gewiesen
hätte.
He kunn moij vertellen, de olde Baas, so
vullmundeg, dat de Jung up sien Arm mit open Mund
an't lüstern was. Man miteins fullen hum de Oogen
dicht un de Olle was uk still. He sagg van wieden ein
upgereegt Mauder dör't Dörp fleigen un in alle
Hauken un Hörns kieken un de Name van de Junge
raupen. Seej funn hör Söhn in't Gras tau Fauten van
ein klunterge veierkantege Toorn, dej stumm un
stiev in de Hauk stunn.
Er konnte schön erzählen, der Alte (Meister), so
vollmundig, dass der Junge auf seinem Arm mit
offenem Mund zuhörte (hier: am Zuhören war). Aber
plötzlich fielen ihm die Augen zu und der Alte war
auch still. Er sah von Weitem eine aufgeregte
Mutter durch das Dorf fliegen und in alle Ecken (und
Kanten) gucken und den Namen von dem Jungen
rufen. Sie fand ihren Sohn im Gras zu Füssen von
einem klobigen viereckigen Turm, der stumm und
steif in der Ecke stand.
Seej namm de Jung up de Arm. Mit Oogen up de
Glieve tillde he sien lüttje Kinderhand umhoog un
brummelde heil verslapen: Gaude Nacht uk,
Toornohmke, slaap gerüst. Un bloot för dej Mensken,
dej dat noch hören können klung ein Stemme over't
Eiland, dej reip: Mien Jung! Mien leiwe Jung!
Sie nahm den Jungen auf den Arm. Mit fast ge-
schlossenen Augen (Glieve = Spalt) hob er seine kleine
Kinderhand hoch und brummelte ganz verschlafen:
Gute Nacht, Onkel Turm (wörtlich Turmonkel), schlafe
gut (gerüst = beruhigt). Und nur für die Menschen, die
das noch hören können klang eine Stimme über das
Eiland, die rief: Mein Junge! Mein lieber Junge!