Auszug aus dem Reisehandbuch
Der Norddeutsche Lloyd.
Der Norddeutsche Lloyd wurde gegründet am 20. Februar 1857 durch den Bremer
Konsul Heinrich Hermann Meier. Die erste Dampferlinie stellte den Verkehr
zwischen Bremen und England her. Am 11. Juni 1858 trat der erste Ozeandampfer
des Lloyd, die „Bremen", die erste Reise nach Neuyork an. Die folgenden Jahre
waren in erster Linie dem Ausbau des Verkehrsnetzes von Bremen nach Nordame-
rika gewidmet: 1868 bedienten die Schiffe des Norddeutschen Lloyd bereits die
sämtlichen größeren Häfen der nordamerikanischen Ostküste, in den 70er Jahren
wurden die Linien Westindien und Baltimore ins Leben gerufen. Unter Führung
Lohmanns gelang es dem Lloyd, im Jahre 1890 zur viertgrößten Reederei der Welt
aufzurücken. Das Jahr 1886 brachte die Eröffnung der Reichspostdampfer-Linien
nach Australien und Ostasien. Den Lloyd zur führenden Passagierreederei der
Vorkriegszeit gemacht zu haben, ist das Verdienst Heinrich Wiegands, der nach
dem Tode Lohmanns die Leitung der Geschäfte übernommen hatte. Unter Wiegand
wurde das Doppelschraubensystem eingeführt und das bestehende Liniennetz
weiter ausgebaut. Die Schnelldampfer der Kaiserklasse waren seinerzeit das
Vollkommenste, was auf dem Gebiete der Passagierbeförderung bis dahin ge-
schaffen war. An Raumgehalt erreichte die Motte des Lloyd kurz vor Ausbruch des
Weltkrieges nahezu 1 Million Bruttoregistertonnen.
Der Friedensvertrag zerstörte dann mit einem Schlage das mühsam in 60 Jahren
Aufgebaute. Von der 1914 aus 135 Seedampfern, 358 Schleppern, Flußbarkassen
und sonstigen Hilfsfahrzeugen bestehenden Flotte von zusammen 982951 Br.-
Reg.-Tonnen verblieb dem Lloyd nur ein Teil der kleineren Hilfsfahrzeuge, unter
welchen der Dampfer,,Grüßgott" mit 781 Br.-Reg.-Tonnen damals der größte
Dampfer des Lloyd war. Zu den Schiffsverlusten kamen die Verluste an Gebäuden,
Docks und festem Inventar im Ausland: In Amerika ging das Hobokendock-Terrain
verloren. Die Kriegsverluste in der Union dürften sich (ohne die beschlagnahmten
Schiffe) auf ca. 17 Millionen stellen. Die Regelung der Rückgabe des in der Union
beschlagnahmten deutschen Eigentums ist Anfang Juli 1928 zum Abschluß
gelangt. Die dem Lloyd hieraus erwachsenen Ansprüche sind einstweilen hin-
sichtlich ihrer Höhe und ihres Fälligkeitstermins noch nicht mit hinreichender
Sicherheit zu beurteilen.
Inzwischen ist es dem Lloyd gelungen, durch eine umfangreiche Neubautätigkeit,
durch den Ankauf und Rückkauf fremder Tonnage sowie durch den Zufluß der
Flotte der mit dem Lloyd fusionierten Roland-Linie, der Hamburg-Bremer Afrika-
Linie und der Dampfschiffahrtsgesellschaft Horn seinen Tonnagegehalt wieder auf
93% des Vorkriegsstandes zu bringen und die Schlüsselflagge des Lloyd auf den
meisten Routen des alten Liniennetzes erneut zu zeigen. Unter den Schiffen der
Nachkriegs-Lloydflotte, die sich am 1. Januar 1928 auf rund 844200 Br.-Reg.-
Tonnen bezifferte (einschließlich der beiden Vierschrauben-Turbinen-Schnell-
dampfer „Bremen" und „Europa" sowie einer Reihe von Frachtdampferneubauten),
nimmt der zwischen Bremen und Neuyork verkehrende Dampfer ,,Columbus"
(32400 Br.-Reg.-Tonnen) in seiner Eigenschaf t als seit 1924 größtes Schiff der
deutschen Handelsflotte, eine besondere Stellung ein. Er wird durch die beiden
neuen Riesenschnelldampfer „Bremen" und „Europa", die im Frühjahr 1929 nach
ihrer Fertigstellung zum Ausbau dieses wichtigen Dienstes ebenfalls in die Strecke
Bremerhaven-Neuyork eingestellt werden sollen, an Größe noch wesentlich
übertroffen.
Das Bauprogramm des Jahres 1928 ist inzwischen abgewickelt worden. Am 15.
und 16. August liefen die Dampfer „Bremen" und „Europa" vom Stapel; Ende
November wurde die „Havel" in Dienst gestellt, nachdem vorher schon die
Schwesterschiffe der „Havel", die Motorschiffe „Trave" und „Saale", in die Reihe
der Lloyd-Frachtschiffe eingegliedert waren.
Durch die Inbetriebnahme der Neubauten vergrößerte sich die in Fahrt befindliche
Tonnage des Norddeutschen Lloyd bis zum 1. Dezember 1928 auf 780000 Br.-Reg.-
Tonnen. Vergegenwärtigt man sich, daß der Bestand an in Fahrt befindlichen
Seedampfern im Jahre 1913 710238, im Jahre 1921 (also ein Jahr nach der
vollständigen Auslieferung aller Lloyd-Seedampfer) 78649 und am 1. Dezember
1927 723253 Br.-Reg.-Tonnen betrug, so kennzeichnet diese Zahl das Tempo der
Wiederaufbauarbeit des Norddeutschen Lloyd in eindeutiger Weise. -Die außer-
ordentliche Generalversammlung am 14. November 1928 faßte einstimmig den
Beschluß, das bisher 125 Millionen betragende Grundkapital um nominell 35
Millionen auf total 160 Millionen Reichsmark zu erhöhen. Dieser Betrag soll dem
Lloyd die weiteren Mittel für den Ausbau namentlich seiner Frachtdampferflotte
zur Verfügung stellen.