Abschrift eines Reiseaufsatzes
aus dem Jahre
1872.
Dieser Aufsatz enthält auch eine leichte Kritik an der Lebensweise der Insulaner
in der damaligen Zeit
Todtengebeine als Planken
Die Sehenswürdigkeiten von Borkum haben das Eigenthümliche an sich, daß eigentlich nichts daran zu sehen ist und daß sie dennoch sehr des Sehens würdig sind, weil einem über dem sinnenden Ansehen viele Gedanken und Erinnerungen kommen. So sieht z. B. der Badegast, der das Dorf Borkum durchschlendert , etwas Grausiges. Er sieht nämlich, das die Gärten und BleichpIätze u. s. w., die man in der übrigen Welt mit einem Zaun, einer Planke oder lebendigen Hecke umgibt, - daß die also mit lauter Todtengebeinen eingefaßt sind , - mit Todtengebeinen eines vormaligen RiesengeschIechts; denn obgleich diese Gebeine nur Knochenstücke sind; so sind sie dennoch ihre vier bis zwölf Fuß lang, einen Fuß dick und anderthalb Fuß breit. Hart nebeneinander sind sie in die Erde gerammt und stehen da schon seit mehr als hundert |ahren, wie eine Mauer fest, und wie viele Stürme auch über Borkum hergebraust und wie viele Regenschauer auch darauf herabgefallen sind, die Gebeine sind wohl ergraut und bemoost, aber nicht wackelig geworden.
Ei, sagst du, was sind denn das für Todtengebeine? von welchen RiesengeschIechtern stammen sie her? Und was ist das für eine borkümmerIiche Rohheit, Todtengebeine als Planken zun benutzen? Nun, ich will's nur verrathen, es sind Rippen und andere Knochen von - Wallfischen. Den die Urgroßväter und Ur= Ur= und nochmals Urgroßväter des jetzigen Borkums waren unternehmende Leute, hochberühmt in weiten Meeren und besonders von dem Wallfisch sehr gefürchtet. Und viele Kommandeurs der Wallflotten wohnen hier auf Borkum, und einer von diesen hat sogar der Gemeinde und den Armen Borkums je tausend Gulden vermacht, wie in der Kirche auf einer kolossalen schwarzen Tafel in holländischer Sprache zu Iesen ist. Denn ein Kreuz oder Altarbild darf in einer reformirten Kirche um Gottes und der Menschen willen nimmermehr gesehen werden; aber wenn Einer klingende Münze für die Gemeinde bezahlt hat, das ist etwas Anderes, das muß man verewigen und allen Leuten ad oculos demonstriren, wie geschrieben steht Matthäi VI, Vers 1-4.
Die Tafel ist also des guten Beispiels wegen da. Wahrscheinlich haben deswegen auch die Ahnen des gegenwärtigen Borkumer Geschlechts die Wallfischknochen um ihre Gärten aufgepflanzt, daß nämlich ihre Kinder auch also thun und sich's zu Herzen nehmen und der „vorigen Wunder“ gedenken sollten. Aber es hat nichts geholfen, denn die modernen Borkumer fangen lieber, wie schon bemerkt worden, Menschen, oder noch besser, direkt ihre Zwanzigmarkstücke und dergleichen. Aber, von Wallfischen gar nicht zu reden, so kann man jetzt vier Wochen auf der Insel sein , und man bekommt vielleicht nicht einmal einen Schellfisch oder Steinbutt zu sehen, geschweige zu essen, - so treiben's jetzt die Borkumer. Und wenn man sie auf die Wallfischknochen hinweist und ihnen sagt, schämt ihr euch denn nicht? was waren eure Väter für Helden und was seid ihr für Stubenhocker und Strandläufer geworden? - so klopfen sie auf ihre Westentasche, wo die Zwanzigmarkstücke innen sind, gähnen dir gemüthlich in's Gesicht, gehen, die Hände in den Hosentaschen, nach Hause, und frühstücken zum zweiten oder dritten Male.
Der freundliche Leser aber wird mir zugeben, daß diese Gärten, mit den Riesen=Todtengebeinen des Wal's garnirt, wirklich eine Curiosität und Specialität von Borkum sind. Wenn er aber denkt, vor diesen Sehenswürdigkeiten ständen die Badegäste still und machten allerlei Reflexionen darüber, so irrt er sich. Denn die meisten, die sie sehen, sehen sie gar nicht weiter an, indem sie meinen, es sei eine eigentümliche Art von altem Holz; so sehen diese Knochen nämlich aus. Die Kinder aber, denen ich davon erzählte, wie das wohl zugegangen sei, als man einst diese riesigen Bestien, deren jede einzelne wohl ihre 100.000 Pfund wog, zwischen den Eisbergen um Grönland gefangen hat, und wie da die Männer geschrieen haben und gejauchzt in ihren Booten, und wie sie die Harpunen auswarfen und wie das Wasser hoch aufspritzte und die Wellen des Meeres roth wurden vom Blute der Ungeheuer, und wie da auch mancher heldenhafte Borkumer Mann sein liebes Leben verlor und nie wieder nach Borkum heimkam, - die Anderen aber desto fröhlicher, mit den Schiffen voll Thran, Fett, Fischbein, Rippen und Zähnen, - als ich das und vieles Andere den Kindern erzählte, da haben ihnen die Augen geleuchtet und es ist ihnen gewesen, als hätte ich ihnen ein Märchen erzählt, und sie schauten fast mitleidig auf die Borkumer von heute und von gestern. Und ein kleines, liebes Mädchen von acht Jahren hat gemeinte: „was wird das aber einmal geben, wenn nun die Auferstehung der Todten ist, und diese Wallfische werden alle wieder lebendig und sie finden sich dann hier auf dem Trockenen; wie werden die sich wundern und was wird das für ein GekrabbeI und GerappeI geben?“ Und ich habe über die „sancta simplicitas“ des schwarzäugigen JüngferIeins herzlich lachen müssen, daß mir die Thränen darüber gekommen sind, und zwar keine bitteren und salzigen Thränen. Ja, das würde allerdings eine große Sehenswürdigkeit in Borkum sein, aber sie wird nicht sein. Denn nicht von den Wallfischen, sondern von dem Menschenkinde nach Gottes Bild geschaffen, heißt es: „was ist der Mensch, daß Du sein gedenkest, und des Menschen Kind, daß du dich seinem so annimmst?“ Die Wallfische aber haben weder Hoffnung noch Verheißung, und befinden sich auch ganz gut dabei.
Der Leser sieht also, daß die Wallfischgärten von Borkum wirklich eine Sehenswürdigkeit sind, wie wenig auch daran zu sehen ist. Doch magst du nicht immer und ewig vor den alten Knochen stehen und willst was Neues haben. Gehen wir also weiter.
Todtengebeine als Planken
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