Abschrift - auszugsweise – eines Reiseaufsatzes
aus dem Jahre 1872.

(28. und 29. Juli 1872)

 

Borkümmerlich

 

 Wir kamen zwölf Uhr Mittags nach Emden, dem „ deutschen Venedig“, wie ein Emdener Kind in edlem Stolz seine Vaterstadt nannte, - was aber entweder von Vergangenen oder zukünftigen Reisen zu verstehen ist. Das Schiff nach Norderney war also weg, doch ließ ich mich von lieben Freunden, die ich hier traf, leicht bereden, meinen Cours zu ändern und mit nach Borkum zu fahren. ,,Ein Quartier bekommst du für's erste weder in Borkum, noch in Norderney; da ist's doch besser, du gehst mit uns, wir helfen schon ein wenig aus, und das Meer ist in Borkum so salzig, so schön und bewegt, wie nur irgendwo anders.“ Diese und andere Argumente machten tiefen Eindruck auf mein biegsames Gemüth, und eine viertelstunde später schiffte ich mich auf der ,,Kronprinzessin“ ein, die Schlag ein Uhr borkumwärts dampfen sollte. An Bord des kleinen Dampfers herrschte ein furchtbares Gekrabbel von Menschen, Koffern und allerlei Gepäckstücken. Ich, der ich nur einen Reisesack und einige Bücher bei mir hatte, sah nun, wie sich die welterfahrenen Leute, die nach Borkum reisten, mit allem Möglichen, was bei Tag und Nacht zum Leben, zur Bequemlichkeit und zur Nahrung gehört, versehen hatten. Mir stiegen wegen meiner Dürftigkeit ernste Gedanken auf.

 

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Nach dreistündiger Fahrt tauchte von ferne die grüne Insel Borkum mit ihren wildgeformten Dünen, ihrem stolzen Leuchtthürme und ihren gespensterartig aussehenden „Baken“ (Zeichen für Seefahrer) aus dem Meere auf.

 

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Gegen fünf Uhr sanken die Anker in's Meer; wir stiegen aus dem Dampfboot in kleine schwankende Kähne und aus diesen auf die hölzernen Wagen, die unserer warteten, und die uns von dem Ostrande der Insel nach dem Nordwesten, wo Dorf und Bad sind, bringen sollten. Diese Wagen scheinen ihrer ganzen Construktion nach schon vor den Tagen der Sündfluth erbaut, oder doch den ersten Wagen, die das Menschenkind erfand, nachgebildet zu sein, und wenn ich sage, daß wir also vom Pferde auf den Esel, und vom Esel auf den Hund gekommen sind, so verstehen mich alle, die jemals den Strand von Borkum gesehen haben. Für den vollends, der schon von der Seekrankheit heimgesucht wurde, ist diese anderthalbstündige Fahrt über den Strand durch Schlamm und Wasser, Gräben und Löcher wirklich schauerlich. Wir waren mit unter den Ersten, und so hoffte ich, noch eine vakante Wohnung zu bekommen. Aber auch diese Hoffnung schien vernichtet; denn plötzlich löste sich an einem der Vorderräder unserer Equipage der schwere eiserne Reifen.

 

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Als nämlich unser Fuhrmann beim Anfang des Dorfes wiederum ein wenig pausirte, um das Rad einer letzten Beschauung zu unterwerfen, trat ein freundlicher Badegast an den Wagen und sagte: „Dort in der kleinen Fischerhütte ist noch Quartier für einen Herrn.“ Ich, kurz entschlossen, eile dahin, komme, sehe und miethe, - freilich um einen so hohen Preis, daß mein Hauswirth aus dem Verpachten dieser einen Stube bald den Werth des ganzen Miniaturhauses heraushaben mußte; ich dachte aber. „Ein Vogel in der Hand, ist besser, wie zehn auf dem Dach, und dies hier ist doch immer komfortabler, wie ein dampfender Kuhstall oder ein heißer Heuboden.“ Als nach längerem Besinnen einige meiner Mitreisenden mir nachkamen, um auch ihrerseits die Wohnung zu inspiciren, war ich schon der glückliche und beneidete Besitzer, und meinte wunder wie pfiffig gewesen zu sein. Hätte ich nach so vielem Reisen mehr Weltkenntniß erworben, So würde mich der Umstand, daß bei der großen Wohnungsnoth dennoch dieses Häuslein leer stand, mißtrauisch gemacht haben; aber soweit dachte mein unschuldiger Geist nicht.

Ich betrachtete nun meinen neuen Besitz in allen Ecken. „Is allen's mooy inricht“ sagte mir der glückliche Eigenthümer, der alte Ate Bekaan, als er mir mit dem Enkelkinde auf dem Arm das Quartier präsentirte. Er sprach damit seine ehrliche Meinung aus, aber die Begriffe der Menschen sind manchmal verschieden. Das Stübchen war nicht übermäßig reinlich, aber doch auch nicht ganz unreinlich; übrigens mehr eine Kajüte wie ein Zimmer, nicht viel höher wie meine geringe Person und das will wenig bedeuten. Das Ganze machte einen originellen Eindruck. Die niedrigen Wände waren wie tapeziert mit Bildern, von denen eines noch grausigere Seeschlachten, Stürme und Wallfischkämpfe darstellte wie das andere. An der Ostseite war ein großer Heerd , mit holländischen gemalten Platten ausgelegt, und oben am Gesimse mit einer Bordüre von Porzellan- und Glassachen aus allen Weltteilen geziert. Einige kraftvolle Stühle fehlten nicht; der Fußboden war so; daß auch Archimedes und Aristoteles in Compagnie die Stelle nicht hätten entdecken können, wo alle vier Tischbeine zu gleicher Zeit die Bretter berührten. Die spuchtigen Fenster ließen sich aufschieben, aber ebenso von außen wie von innen, was jedenfalls für die Diebe sehr bequem war.

„Aber um's Himmelswillen, wo ist denn mein Bett?“ - ,,Hier, Minheer,“ sagte Ate, indem er die Thüren eines Wandschrankes öffnete (hier zu Lande „Koje“ genannt). Diese pflegt so hoch zu sein, daß man auf einem eigens dazu construirten Bänkchen hineinklettern muß. Ich betrachtete mit Wehmuth diese Stätte, wo ich ruhen sollte; das Beste darin war reines Roggenstroh, das Andere entzog sich der Beschreibung. Ein dicker hänfener Strick hing von dem Balken herunter, als sollte man sich daran aufhängen. „Wozu ist das Ding?“ fragte ich ängstlich. „Daß man sich daran in die Höhe zieht, wenn man ausgeschlafen hat!“ antwortete Ate Bekaan; - „oder auch, wenn man elend ist, weil man nicht geschlafen hat,“ dachte ich bei mir selbst, denn aus der Koje strömte eine Hitze, die für einen Neger köstlich gewesen wäre; die Decke der Koje war nämlich zugleich das Dach des Hauses, also nackte Pfannen und Ziegeln.

Ach, wie wird es einem, wenn man in so eine Wohnung verschlagen wird, klar, wie entsetzlich verwöhnt man in dem Stadtleben ist.

 

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Nun, bei Ate Bekaan hätten die Letzteren jedenfalls Recht behalten und ich hätte sehr gewünscht, nur wenige Bedürfnisse zu haben. *)

Meine guten Hausleute haben nur ein Minimum davon, und wenn ich sie um irgend etwas ersuchte, was mir selbstverständlich nöthig schien, so kannten sie es entweder gar nicht, oder sie besaßen es doch nicht. „Minheer, et is 'ne Insel,“ sagte Frau Bekaan immer stolz und kalt, wenn ich etwas wünschte, war es auch nur ein Stiefelknecht, oder ein Tintenfaß, Pfropfenzieher oder Seifenbecken -: „Minheer, et is 'ne Infel.“ Nun, das Alles hätte mich amüsirt, aber - die Hitze in der Koje! die Hitze in der Koje! die war mir furchtbar, denn ich war nach Borkum gekommen, um recht wieder schlafen zu lernen.

 

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*) Fußnote:

Es ist aber auch in Borkum nicht überall so primitiv, wie in meinem ersten Quartier. Es gibt auch recht gute Logis,wenn man sie nur zu finden weiß, und in den meisten Häusern herrscht eine fast peinliche holländische Reinlichkeit. Recht einfach ist's allerdings in Borkum überall. Ein berühmter Pädagoge des vorherigen Jahrhunderts schrieb (wie mir in Borkum ein Freund erzählte) seinem Sohn auf der Universität: „Mein Sohn, iß schlechter und wohne besser, wie es deinen Verhältnisse erlauben.“ Darin liegt gewiß eine beherzigenswerthe große Lebensweiheit, wenn man unter dem „schlechter“ Essen und Ausschluß aller Leckereien und sogenannten Delikatessen versteht. Die meisten Menschen geben für ihren Gaumen viel zu viel Geld aus, für die Wohnung aber, worin der ganze Mensch lebt, athmet, schafft und Arbeitet, viel zu wenig. In Borkum konnte man aber noch jedem Badegast zurufen: „wohne hier so gut, iß hier auch so gut, wie nur irgend dein Geldbeutel zuläßt!“ und man konnte gewiß sein, das er weder in einem Palast wohnte, noch auch ein Gourmand wurde. Ein witziger Herr erfand damals das Wort „borkümmerlich“, aus Borkum und kümmerlich zusammengesetzt. Wenn also jemand klagte über dies und das, so hieß es, „man muß sich fassen, es ist eben borkümmerlich;“ und so haben wir dieses Wort zur Überschrift dieses ganzen Abschnittes gewählt. Der Verfasser.

 

 

 

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