Dieser informative Aufsatz enthält auch einen Spendenaufruf zugunsten der
Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger
Die Scheunenthür auf Rottum.
Da wäre nun für diejenigen der werthen Leser, die sich vor einigen gesalzenen
Wellen und einem bischen Seekrankheit nicht fürchten, eine Segelpartie zu einer
benachbarten holländischen Insel, Rottum, sehr zu empfehlen, denn dieses kleine
Eiland ist voll von Sehenswürdigkeiten. Man kann sagen, daß es ein großes
Vogelnest ist, denn es scheint, daß alle Seeschwalben , Möven und "Berganten"
der ganzen Nordsee sich hier einen Rendezvousplatz , ja eine bleibende Heimath
gesucht haben. Die ganze Luft ist erfüllt von ihrem Geschrei, und wenn sie sich so
erheben, sind Sie oft gegen den blauen Himmel wie eine blendende Wolke
anzusehen; denn ihr Gefieder ist weiß, wie der Schnee und leuchtend wie Silber.
ES gibt Stellen auf der Infel, wo man seine Augen ordentlich aufthun und feine
Füße zierlich fetzen muß, sonst tritt man die Eier und jungen Vögelein zu
Schanden. - Aber dies ist eine Sehenswürdigkeit, davon schon Andere geschrieben
haben, und die auch jedermann, der hinkommt, von selbst sehen kann. Wir aber
wollen von den Sehenswürdigkeiten erzählen, die Niemand sieht oder doch nicht
dafür ansieht. Und da ist z. B. der Vogt der Insel für mich eine große
Sehenswürdigkeit gewesen. Er ist zwar kein König ohne Land, aber ohne Leute,
denn er und seine Familie wohnen ganz allein auf der Insel; sonst hat er keine
Unterthanen, ausgenommen die Vögel, große und kleine, die aber in ihm auch
einen rechten König. Vater und Schirmherrn haben. Man kann hier einigermaßen
lernen, wie der liebe Gott es von allem Anfang her gemeint hatte, daß der Mensch
Herrscher sein soll über die Thiere, nämlich seinen Nutzen von ihnen haben und
doch zugleich ihr Vater und Beschützer sein.
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Jeder nun, der in dieses unseres Robinsons und Vogelvaters Wohnung und Gehöfte
herumstöbert und hat zwei gute Augen, kann der Sehenswürdigkeiten noch viele
finden, an denen aber wiederum mehr zu denken, wie zu sehen ist. So über der
Scheunenthür. Bei uns zu Lande nageln die Bauern wohl eine Eule über die
Scheunenthür, d. h. wenn sie sie erst gefangen haben. So eine Eule aber gibt
wenig zu denken, denn es ist eine Eule; und man sagt in meiner rheinischen
Heimath (im dunkeln Sprüchwort tiefen Sinn verbergend): „Der Bauer glotzt die
Eule an und die Eule glotzt den Bauer an und dann fangen sie wieder von vorne
an.“ Was aber über der Scheunenthür des Vogelvaters in Rottum zu Sehen ist, ist
keine todte Eule oder Möve, denn er tödtet keine Vögel, sondern füttert sie lieber
und bekommt dafür einen Theil ihrer unzähligen großen, fetten Eier. Nein, da sieht
man einfache hölzerne Schilde oder Bretter von zirka fünf Fuß Länge und zwei Fuß
Breite. Auf jedem derselben ist ein Name gemalt mit rother oder gelber oder
blauer Farbe, bald mit mehr, bald mit weniger Schnörkeln und Verzierungen, - da
sind Namen wie Vesta, Neptun, Schwan, Minerva, Marianne und allerlei.
Solche Schilde sind da wohl zehn oder mehr angeschlagen über und neben der
Scheunenthür. Man kann gerade nicht sagen, daß das sehr schön aussieht, und
Mancher geht da vorüber und schaut nur mit einem Auge hin, und doch ist das
etwas sehr Merkwürdiges. Es sind nämlich die Schilde von den Schiffen, die an
dem bösen Strande von Rottum gescheitert sind und davon manchmal nichts wie
so ein Schild mit dem Namen gerettet worden ist. Es sind Schiffe aus allen
Nationen gewesen, - Schiffe mit braunen, weißen und schwarzen Menschen,
Schiffe, die alle Meere durchfurcht hatten, schöne und stolze Schiffe, welche die
Produkte und Güter aller Lande von Welttheit zu Welttheil führten, - und nun ist
nichts mehr davon vorhanden, wie eine Tafel mit dem - Namen.
Nicht wahr, diese Schilde an der Rottumer Scheune sind doch wirklich eine Denk=
und Sehenswürdigkeit? Wer sich davor stellen wollte und hätte einen Dichterkopf
und ein Dichterherz und dächte einmal von den Schilden zu den Schiffen hin und in
alle die verzweifelnde Arbeit, Jammer und Todesringen der Seeleute hinein und in
die furchtbare Stunde des Schiffbruchs, da das stolze Fahrzeug stückweise von
einander gerissen wurde u. s. w. u. s. w., - der könnte vor der Rottumer Scheune
eine schöne Tragödie abfassen, darüber vielen Leuten die Thränen in die Augen
kämen. Wer aber kein Tragödienschreiber ist, der möge doch bei dieser
Gelegenheit sich entschließen, sein Markstück oder sein Zwanzigmarkstück an die
„Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger“ zu opfern.
Doch wir kehren, nachdem wir gemüthlich bei dem Vogt gespeist haben (und zwar
rohen Schinken mit Pellkartoffeln und Reis oder Pfannkuchen, denn über dieses
Menu hinaus wird nichts fabricirt -), von dem lieben Rottum nach unserm
borkümmerlichen Borkum zurück, wo wir doch nun einmal domicilirt sind, und
forschen da weiter nach den Sehenswürdigkeiten.
Überlieferungen
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