Die Borkumer Rolle regelte u. a. die Rechte und Pflichten der Insulaner im
Zusammenhang mit dem Deichbau, der Kaninchenjagd, der Bergung von
Strandgut und Schiffen sowie die Durchführung des Lotsendienstes.
Wirft man einen genauen Blick hinein, so stellt man fest, dass der Vogt, der die
alleinige Polizeigewalt auf der Insel besaß, verpflichtet war, die Insulaner
permanent zur aktiven Rettung von Schiffbrüchigen anzuhalten. Wie aus
einschlägigen Überlieferungen jedoch zu erfahren ist, gelang dieses Ansinnen
nicht immer.
Die Ordonanz aus dem Jahre 1682 wurde auf Bitten der Gemeinde Borkum (März
1666) von dem zuständigen fürstlichen Amt Greethsyhl, basierend auf der alten
verlorengegangenen Ordonanz aus dem Jahre 1525 (Jahreszahl nicht gesichert),
erstellt. Die neue Rolle erlangte dann im Jahre 1682 Gesetzeskraft.
Die Borkumer Rolle wurde in den Jahren 1711, 1772, 1777 und 1830 ergänzt,
verändert bzw. den jeweiligen veränderten Situationen angepasst.
1. Daß der Vogt auf Borkum die Gemeinde und Einenjeden zur Observanz
dieser Rolle fleißiger mahnen und ernstlich anhalten soll, auch selbst, soviel ihn
und die Seinigen betrifft, darwider weder directe, noch indirecte nichts
vornehmen, noch handeln, in specii auf Konservanz der Dünen, Deiche, Bolgen,
oder Anfahrgüter Achtung haben, die muthwilligen Verbrecher zur Bestrafung an
hiesiges Amtsgericht ohne Conevenz angeben, zur Rettung der Schiffbrüchigen
Leute und Güter die Unterthanen zeitig und mit Ernst antreiben, auch selbst, so
wie möglich alles beaufsichtigen, die gestrandeten und geborgenen Güter genau
ausfahren lassen und in gute Verwahrung nehmen soll.
2. Soll der Vogt nicht vor sich selbst oder allein, sondern mit Zuziehung und in
Gegenwart des Pastors und zweien oder dreier Einwohner die gestrandeten
Kysten und Fässer eröffnen lassen und die verschlossenen Güter specifisch
designiren, auch über die geborgenen Güter aller Gewohnheit nach schriftliches
Inventarium oder Verzeichniß aufmachen, und an uns, Ihrer hochfürstlichen
Durchlaucht Beamte anhero unverzüglich einsenden, auch wenn nasse Waaren,
als Wein, Brantwein usw. in Fässern enthalten und die während der Ausfahrung
leck geworden sind, selbige Fässer in gemeldeter Leute Gegenwart gegeben und
also verzeichnen, damit die Kaufleute sich desto weniger zu beschweren haben
mögen.
3. Es soll der Vogt die Kaninchenjagt bestmöglichst conserviren und zu dem
Ende ohne einen special Befehl vor St. Jakobi und nach Lichtmeß alter
Gewohnheit nach der Kaninchenfang nicht stattfinden, damit die Vermehrung der
Kaninchen nicht verhindert werde, mit den Fritten nicht jagen, auch soll der Vogt
wenn er, oder auf seinen Befehl diejenigen jagen, den Auskündiger allemal dabei
gebrauchen, demselbigen alter Gewohnheit nach für seine Arbeit nach Verhältniß
des Fanges bezahlen, oder zwei Keppel Kaninchen geben. Uebrigens soll auch der
Auskündiger in herrschaftlichen Geschäften und zu des Eylandes Besten des
Vogtes Befehlen gehorchen und fleißig nachkommen. Alles bei fürstlicher,
höchster Ungnade und arbiträrer Strafe.
4. Die ganze Gemeinde auf Borkum und ein jeder Einwohner soll Namens und
von wegen Ihrer hochfürstlichen Durchlaucht auch als hoher Landesobrigkeit dem
Vogt in allen vorfallenden billigen Dingen bei Strafen, jeglicher 10 Gutegroschen
mit gebührendem Respekt gehorsamst Folge leisten, auch sollen die
Gemeindemitglieder ihres Pastors und Seelsorgers christlicher Ermahnung und
Strafe mit geziemender Referenz und Liebe sich untergeben. Sie sollen des
unnötigen Strandlaufens, wie auch die Kaninchen heimlich zu fangen und
nachzustellen gänzlich sich enthalten, bei Strafe von 10 Gutegroschen für jeden,
der darauf betreten wird und Vermeidung hoher arbiträrer Strafe. Imgleichen
sollen die Einwohner mit allem Fleiß Menschen und Güter auf bestmöglichste
Weise retten, versegelte und unkundige Schiffe einlootsen und sich bei Bedingung
des Lootsenlohnes bescheidentlich betragen. In specii soll die Gemeinde und ein
Jeder, Vogt, Pastor und Auskündiger, keiner ausgenommen, alter Gewohnheit
nach aus jedem Hause eine Person, zur Zeit die Deichrichter die Deiche zu machen
anordnen, selbige willfahrig reparieren unter Strafe des Ausbleibens jedesmal 1
Gutegroschen. Diese Geldstrafe soll der Gemeindekasse anheim fallen. Sie sollen,
was zur Conservierung der Dünen mit Flacken setzen und Helm pflanzen, ihnen
anbefohlen wird, altem Herkommen gemäß verrichten, des Helmenmähens oder
specielle Erlaubnis sich enthalten, in Grabungen des Sandes und Stechung der
Soden nach Anweisung des Vogtes solches Maß halten, daß daraus dem Lande
kein Nachtheil geschieht, alles bei Vermeidung fürstlicher Ungnade und arbiträrer
Strafe.
5. Wegendessen, was von gestrandeten Gütern, imgleichen bedungenen
Lootsengeld nach Recht oder alter Gewohnheit den Eylandern an Bergegeld oder
sonsten competirt, damit soll es eines Jeden Antheil anbelangend, folgender
Gestalt alter Gewohnheit nach, gleichwie der Eylander deputierte, solches im
Gericht eidlich bestärket, zwischen dem Vogt und der Gemeinde und unter der
Gemeinde gehalten werden.
6. was auf den Riffen und außerhalb der Riffe geborgen wird, davon hat der
Schiffer, welcher mit seinem Schiffe das Gut berget, für sein Schiff zwei Parten
und für seine Person ein Part, mithin zusammen drei Parten. Ist nun jemand mit
auf dem Schiff, der mit Bergen hilft, der hat für seine Person ein Part. Was aber
binnen den Riffen, das ist auf der Ems und auf den Watten-Randsel geborgen
wird, davon hat das bergende Schiff einen Theil und der Schiffer, dem das Schiff
zugehört noch einen Theil für seine Person, auch alle diejenigen, die mit Bergen
helfen und keine Jungens sind, sondern Häusväter, einen Theil. Die aber zu Hause
bleiben, haben hiervon keinen Part, ausgenommen der Vogt, Pastor und die
Witwen. Uebrigens ist zu bemerken, wenn der Vogt mit seinem Wagen die
geborgenen Güter zu Hause fahren muß, als dann hat er 4 Theile, wenn aber der
Vogt nicht mit dem Wagen fährt, alsdann hat er nur 3 Theile. Jeder Altbauer hat,
wenn er mit seinem Wagen auffahren hilft, zwei Parten, sonst nur einen Part.
Was an dem Flußstrande antreibt, das ist, was nicht mit Schiffen geborgen
wird, sondern von selbst an den Strand kommt, nämlich von Kaufmannsgütern,
davon hat der Vogt vier=drei Theile und der Pastor zwei Theile und ein jeder
Hausvater oder Hausmutter, er sei ein Altbauer oder Neubauer, imgleichen eine
unvermögende Witwe, die durch einen Knecht auffahren hilft, hat einen Theil, wer
aber nicht mitarbeitet, oder nicht mit auffahren hilft, der hat auch keinen Theil,
welches jedoch so zu verstehen ist: wenn der Hausvater einen oder mehr große
Söhne hat, die ihm arbeiten helfen, so hat er doch nicht mehr als einen Theil.
7. Das Lootsen findet Anwendung, wenn ein Schiff unkundig ist und noch in
freier Fahrt auf dem Strom ist, eine Sjaue fiegen läßt, oder ein Stück Geschütz
löset und also damit einen Lootsen fordert, der es an seinen Bestimmungsort
bringen soll. Alle diejenigen, die sich gereade an dem Strand befinden und den
Sjaue ansichtig werden, thun sich beisammen und vereinbaren sich darüber, wer
von ihnen mitfahren soll. Wer es für den geringsten Preis thun will, der fährt hin.
Das über den accordierten Preis gedungene Lootsengeld kommt der ganzen
Compagnie zu Gute, die den Accord geschlossen, welches so zu verstehen, dessen
Sohn oder Söhne bei der Abschließung des Accords zugegen waren, demnach
nicht mehr, als seinen einen Part fordern kann. Wenn der Vogt und Pastor nicht
mit zugegen sind, haben sie auch keinen Theil am Lootsengelde, nämlich wenn es
ihnen angesagt ist und sie nicht mitfahren wollen. Ist es ihnen aber nicht
angesagt und die Eyländer das Schiff vom dem Thurm sehen, so haben sie ihren
Anteil an dem Lootsengeld. Obiges ist nun von solchen Fällen zu verstehen, wenn
eine Person auf das fremde Schiff übergeht und selbiges lootset, das ist, an den
Bestimmungsort bringt. Wenn aber mit ganzen Schiffen gelootset werden muß,
das heißt, wenn das Lootsenschiff mitfahren muß, um den Sjomver zu helfen, so
muß durch das Loos entschieden werden, welchews der Schiffe fahren soll,
imgleichen, welche Personen fahren müssen. Das lootsende Schiff soll haben zwei
Parten für das Schiff und ein Part für den Schiffer, mithin zusammen drei Parten,
es sei auf den Riffen oder der Randsel, das ist binnen Juist oder Borkum. Wenn
aber das spauende Schiff befunden wird, nicht mehr in freier Fahrt auf dem Strom
begriffen zu sein, sondern irgendwo festsitzen und leck zu sein, welches der Vogt
alsdann untersuchen muß, ob mämlich das Schiff in die Hände der hohen
Landesobrigkeit verfallen sei, oder nicht, so kann von Lootsgeld nicht die Rede
sein, sondern das Bergrecht und Berggeld tritt ein und findet statt und muß es mit
den Parten gehalten werden wie hab. Nr. 6 angedeutet worden, hinsichtlich der
Güter, die außerhalb oder innerhalb der Riffe geborgen werden.
8. Wracke sind lecke, verlassene leere und festsitzende Schiffe, die nicht
abgebracht werden können, imgleichen gestrandete Stücke von Schiffen,
worunter auch gerechnet werden angespülte Masten, Raen, Stangen, Steuerruder,
Schwerter, Schalupen und Boote, Lastbalken und Höftplanken oder Höftpfähle,
mit einem Wort alles Rundholz und was dazu gerechnet wird, weil dies alles alter
Gewohnheit nach, wie auch die Borkumer Abgefertigten mit leiblichem Eide
betheuert haben, von jeher der Gemeinde auf Borkum anheimgefallen ist und
unter ihnen nach Proportion des Antheils eines jeden getheilet, oder auch zu
gemeinem Gebrauch verwendet zu werden pflegte. Man läßt jedoch, sowohl
hinsichtlich uns, Ihrer hochfürstl. Durchlaucht bestallten Drostes und Amtmanns
in diesen und vorigen Punkten bei dem uns alter Gewohnheit nach competirenden
Antheil, als auch hinsichtlich des Vogtes bei demselbigen gleichfalls dem alten
Herkommen nach zuzulegenden und gebührenden 4 (vier) Parten künftig auch
bewenden, wie es den solcher Gestalt hierfür unverbrüchlich und unweigerlich
soll gehalten werden, bei Vermeidung arbiträrer Strafe und fürstlicher Ungnade.
9. Schließlich wird hiermit verordnet, daß zur Nachricht und besseren
Observanz, diese Rolle – von der zwei gleichlautende Abschriften verfertigt
worden sind, von welchem eine dem Vogt, die andere aber der Gemeinde auf
Borkum zugestell worden ist – alle Jahre, auf dem ersten Sonntag nach Martini
von dem Pastor öffentlich von der Kanzel publiziert und öffentlich vorgelesen
werden soll.
Urkundlich haben, auf specialen fürstl. gnädigen Befehl und in deren Namen,
wir dero jetziger bestallter Drost und Amtmann des Hauses und Amtes Greetsyhl,
diese Rolle und Ordonnanz, jedoch unter ausdrücklichem Vorbehalt im gegebenen
Falle zu jeder Zeit und auf alle Weise, nach Befinden und Beschaffenheit der
Umstände, dieselbe zu vermehren, zu vermindern, abzuändern, zu verbessern,
auch sonst aller hochfürstlicher Hoheiten und Gerechtigkeiten, und
jedermänniglicher Recht impräpedirlich eigenhändich unterschrieben und mit
Unterdrückung unserer Petschaften bekräftigt.
Signatum Greetsyhl den 14 ten November 1682.
Gez. U. Humme von Manderstawer. Drost.
Geb.: Freytag, Amtmann.
m. m. p. p.